Der Frühling riecht nach altem Fett, nach gebratenen Nudeln und nach Sojasauce. Zumindest hier, im ersten Stock des Donauzentrums, Eingang Wagramer Straße. Es ist ein Freitagnachmittag Anfang April, im Erdgeschoß schieben sich Horden von Jugendlichen durch die Gänge, man könnte meinen, RAF Camora gibt gleich ein Konzert. Oben ist es deutlich ruhiger, hin und wieder kommt jemand die Rolltreppe raufgefahren und verschwindet links in einem relativ unscheinbaren Geschäft. So wie gerade eben die junge, blonde Frau in blauen Jeans und weißem T-Shirt.
Das Donauzentrum, kurz „DZ“, ist Wiens größtes Shopping Center. Wer es kennt, der weiß, dass man hier ziemlich gut einen ganzen Tag vertrödeln kann, weil es hier alles gibt, was man auch nur im Entferntesten brauchen kann. Und brauchen können hier alle was – die einen ein neues Paar Sneakers, die anderen eine Hülle fürs iPhone. Und wieder andere ein bisschen mehr Lippe, ein strafferes Gesicht, vielleicht aber auch nur eine glattere Stirn oder weniger Oberlippenbehaarung. Und genau das gibt es hier, vielleicht nicht ganz ohne Grund gleich neben dem Shop für professionelle Passfotos. „Schönheit2go“ heißt der Salon, und das klingt nach einem Versprechen, das ziemlich gut in diese Shopping-Mall-Welt passt.
Es dauert nicht lange, da kommt auch schon die nächste Frau – auch sie relativ unscheinbar, der Ansatz ihrer Haare wächst dunkel nach, die Jeans sitzen eine Spur zu eng. „Niederschwellig“ sei hier alles, und damit ist wohl nicht nur gemeint, dass es hinaus zur Außenwelt keine Türe gibt, also nicht einmal eine Glastüre, hinter der sich der Empfang zumindest irgendwie verstecken kann. Wer sich vorne bei den beiden jungen Damen anmeldet, steht also praktisch am Gang des Shopping Centers, man sieht also ganz genau, wer reingeht, und man sieht auch ziemlich genau, wer im Wartezimmer hockt. Termine für die Hyaluron- und Botoxbehandlungen gibt es de facto sofort, keine 15 Minuten dauert die Behandlung angeblich.
Jetzt, am Freitagnachmittag, sitzt eine ältere Frau im Wartezimmer, sie wirkt so unscheinbar wie eine durchschnittliche Oma, dann ist da noch ein Typ, der offenbar auf seine Freundin wartet, und ein Mann, der samt Sohn „die Mama“ abholt. Dass jemand, der von seinem Partner als „die Mama“ bezeichnet wird, noch zum Beauty-Doc geht, ist irgendwie ein beruhigendes Zeichen, dass die Welt wohl auch im Alter noch nicht ganz verloren ist.
Das wichtigste Argument für den Laden scheint aber der Preis zu sein. Für 100 Euro gibt es einen „Lip-Flip“, also einen Spritzer Botox in die Oberlippe. 180 Euro kostet eine halbe Ampulle Hyaluron, also ein kleines Pölsterchen, das die Falte ausbügelt. Ein bisschen Botox gibt es um 200 Euro und wer 6.000 Euro auf der Seite hat, kann sich das ganze Gesicht liften lassen. Das klingt nach viel, die Reichen und Schönen kostet das aber nur ein gar nicht müdes Botox-Lächeln. Die Preise sind locker um die Hälfte niedriger als in einer Beauty-Ordi in der Innenstadt, wenn man so will, dann wird hier im Donauzentrum Schönheit demokratisiert.
Bei den gebratenen Nudeln im Erdgeschoß hat sich mittlerweile eine kurze Warteschlange gebildet. Oben, bei „Schönheit2Go“, auch. Die junge, blonde Frau ist jetzt mit ihrer Behandlung fertig. Bevor sie ihren Freund an der Hand nimmt, macht sie ein paar Selfies von ihrem Gesicht, es ist der Moment, wo das, was sich gerade verändert hat, nicht nur für sie, sondern ziemlich sicher auch für die Menschen auf ihrem TikTok- oder Insta-Kanal sichtbar wird. Ein Moment, der ziemlich genau so bei den teuren Beauty-Kliniken in der Naglergasse, der Herrengasse oder der Wollzeile ebenfalls stattfinden hätte können. Nur, dass es dort nicht nach fettigem Essen riecht. Sondern nach Champagner.
Erschienen in Fleisch #74 - GANZ WIEN
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