Gemma Park

Fleisch 52, Sommer 2019 
Text: Markus Huber                              

Klar, auch an einer Tankstelle riecht es hervorragend und Beton erst, hey, da stolpert man doch viel weniger als auf diesem unebenen Naturdings. Aber dann gibt es doch Momente, da möchte auch der Hardcore-Städter seine Schuhe ausziehen und ein bisschen Gras unter den Zehen spüren. Gut, dass er dafür nicht einmal ins Auto steigen muss. Über ein Lebensgefühl, das Leute von außen erst verstehen lernen müssen.

Den Moment, in dem das Landei zum Wiener wird, den kann man meistens ziemlich genau festmachen. Es ist der Tag, an dem es sich eine Picknickdecke organisiert, ein paar Brote schmiert, Bierdosen zum Warmwerden in den Rucksack steckt und dann ins Grüne fährt – ein paar Minuten mit der Straßenbahn.

Denn wenn der Wiener ins Grüne will, dann meint er damit meistens den Park. Er fährt in den Augarten oder in den Prater, wenn er etwas posher ist, in den Türkenschanzpark oder nach Lainz, und wenn er noch jung ist, in den Burggarten. Dort macht er dann alles, was er zuhause nicht machen will oder nicht machen darf oder nicht kann, weil zuhause einfach kein Platz ist. Für echte Wiener ist der Park die Terrasse oder der Garten oder das verlängerte Wohnzimmer oder das ­versteckte Schlafzimmer oder der Hobbyraum.

Das ist schön für ihn, aber am Anfang wird er dafür von allen Nicht-Wienern verlacht. Für Landeier ist die Faszination Park nämlich wirklich schwer zu begreifen. Ein echtes Landei, und dazu zählt in Österreich alles bis inklusive Grazer, hat, wenn es etwas Grünes sehen wollte, einfach Richtung Horizont ­geschaut oder ist barfuß durch die Wiese vor der Haustür gehüpft. Und wenn was ganz besonders Verbotenes zu passieren hat, dann ist da schließlich der absolut uneinsehbare Fleck zwischen dem Tennisklubhaus und dem Hintereingang zum St. Valentiner Freibad.

Doch je länger das Landei in Wien ist, desto besser versteht es das Konzept Park, und wenn es nicht aufpasst, dann freundet es sich damit sogar an. Meistens sogar früher als später.

Er ist ja auch toll und hat so unglaublich viele Vorteile: ein Rasen, den man nicht selbst mähen muss; Bäume, von denen kein Fallobst runterkracht, das dann langsam verfault und in das man garantiert reinsteigt, wenn man barfuß über die Wiese läuft; es stinkt fast nie, zumindest nie wie der Komposthaufen, den die Mayers frecherweise gleich hinter die Thujenhecke gestellt haben (außerdem: Thujenhecke! Thujenhölle! Nicht hier, nicht im Park); nie hört man, wenn sonst alles leise ist, einen Rasenmäher, nie steigt einem der Geruch von verbranntem Fleisch in die Nase, weil Herr Müller wieder grillt, und man hört deswegen auch Frau Müller nicht brüllen, weil das gute Schweinerne schon wieder schwarz gebrannt ist und schmeckt wie eine Schuhsohle. Nein, da nützt auch Ketchup nichts, wir wissen es, Frau Müller.

Vielleicht ist es manchmal laut im Park, vielleicht ist es manchmal recht voll, und vielleicht fehlt einem manchmal die Privatsphäre, weil man im Park nicht so nackt rumlaufen kann, wie man will (wobei: 1) Dechantlacke, 2) es steht ­niemandem, bitte einfach bei Toni Spira nachsehen!).

Aber im Grunde ist genau das ja diese Urbanität, wegen der man nach Wien gekommen ist. Der Park ist öffentlicher Raum, im besten Sinne, und wenn man weiß, wie man reinkommt, auch außerhalb der Öffnungszeiten. Im Park ist immer etwas los, es gibt immer etwas zu schauen, immer etwas zu erleben. Manchmal spielt jemand Musik, manchmal spielt jemand Volleyball (mit etwas Glück kann er es nicht), manchmal gibt es Konzerte oder man sieht Menschen, die so lustig angezogen sind, dass man stundenlang nicht wegsehen kann. Irgendwer isst immer irgendetwas, das er besser nicht mehr essen sollte, irgendwer hat immer ein erstes oder zweites oder drittes Date, und immer trennt sich irgendwer gerade (auch wenn er es selbst vielleicht noch gar nicht weiß). Im Park ist immer Ablenkung, wenn man aber seine Ruhe haben will, ­etwas lesen oder einfach gar nichts tun will, dann ist das auch okay, niemand stört einen, und man muss auch kein schlechtes Gewissen haben, weil man sein Zimmer nicht zusammengeräumt hat oder die falschen Liegen benützt, die für die Gäste.

 

 

 

Der Park ist groß genug, dass man sich aus dem Weg gehen kann, wenn man sich nicht sehen will, und klein genug, dass man sich auch ohne Facebook-Standort sofort findet. Man kann im Park joggen und wird dabei gesehen oder auch nicht (je nachdem, wie man es will, also wie gut die Laufhose gerade passt). Und wenn man sonst irgendeinen Sport machen will, im Park findet sich immer jemand, dem man sich anschließen kann. Fußball? Basketball? Kein Thema, ein Käfig ist nie weit entfernt, und was ist das für ein Gewinn im Vergleich zu früher, als man mit dem Ball unterm Arm in den Garten gegangen ist und da niemand war außer der Schwester (damals gerade drei) und dem Hund.

Parks sind immer schön, Parks sind immer abwechslungsreich, und die Menschen, die sich darum kümmern und sie angelegt haben, die haben auch wirklich Ahnung davon und nicht nur einen Bellaflora-Katalog am Nachtkästchen liegen. Wenn man mit offenen Augen durch den Park geht, dann kann man etwas lernen, über Pflanzen, über Tiere, über die Natur und natürlich auch über die Welt, in der wir leben.

Nirgendwo sonst treffen die Menschen der Stadt so direkt aufeinander wie im Park und vor allem auf den Kinderspielplätzen, und zwar die echten Wiener genauso wie die Land­eier und die anderen Zugereisten. Gemeinsam buddeln sie sich durch die Sandkiste, schaukeln und tauschen unterm Klettergerüst Pflaster. Nirgendwo ist Wien so authentisch und nichts kann einen besser aufs Leben vorbereiten, keine Privatschule, kein Reiseführer und kein Gentrifizierungskongress.

Nirgendwo ist man so sehr Wiener wie im Park.

Und es ist wirklich nicht schlecht, ein Wiener zu sein. 

Erschienen im Sommer 2019. Fleisch 52, bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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