Über das, was jetzt kommt

Fleisch 64, Sommer 2022 

Dinge, über die man mit Sigi Maurer besprechen muss.

Fleisch: Krieg und Inflation, Menschen, die sich fragen, ob sie sich im Winter das Heizen leisten werden können, und die Pandemie ist auch noch da. Der Herbst wird ernst. Wie stellen Sie sich darauf ein?

Sigi Maurer: Es wird noch einmal eine andere Form von Krise und ich rechne damit, dass das im Herbst prekär werden kann. Die Sorge ist groß. In der Bevölkerung herrscht Wut über die große Teuerung, das ist klar. Wir wissen auch, dass wir nicht alles ausgleichen werden können, aber wir arbeiten mit unterschiedlichen Szenarien und bereiten uns vor. 

Wie schauen diese Szenarien aus?

Es sind die Szenarien, die schon bekannt sind, also: Was passiert, wenn gar kein Gas mehr fließt, was, wenn das dauerhaft der Fall ist, und was, wenn es nur eine kurze Unterbrechung gibt. Wir substituieren, schauen, wie die Produktion in Österreich selbst ausschaut, wer da was wo ersetzen kann. Es ist ein professioneller Krisenplan, und mit dem Antiteuerungspaket haben wir schon ein riesiges Hilfspaket verabschiedet, durch das Geld jetzt schon rausgeht, insbesondere an Familien.  

Trotzdem sind da große Ängste. 

Die Herausforderungen sind gewaltig und die Unsicherheit ist groß. Es war ja schon die letzten zweieinhalb Jahre alles recht instabil. Es gab die Pandemie, jetzt den Krieg. Die Sorge, dass es der nächsten Generation schlechter gehen wird, war davor schon groß. Unter den Jugendlichen gibt es wiederum wirklich viele, die eine existenzielle Angst haben, weil sie um die Existenz des Planeten fürchten. Es ist alles extrem schnelllebig. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Zutrauen in die Politik, was ihre Fähigkeit zum Lösen solcher Probleme angeht, schwindet. Zum Teil kann ich das auch nachvollziehen.

Warum zum Beispiel?

Weil es zum Beispiel ernüchternd ist, wenn man feststellt, dass unser Pandemiemanagement, das sehr stark auf Tests setzte, auch nicht zu so viel besseren Ergebnissen geführt hat wie die Maßnahmen in anderen Ländern. Und die Instabilität der ÖVP nährt gerade die Sorge, dass der Eindruck entsteht, dass die Politik keine Lösungen hat. Gleichzeitig hilft es halt auch nicht, wenn in den Medien dann Leitartikel erscheinen, in denen völlig faktenwidrig behauptet wird, die Regierung tue nichts, um diese Krise zu bewältigen. Das riesige Entlastungspaket ist da, die Abschaffung der Kalten Progression und die Indexierung der Sozialleistungen haben wir zusammengebracht – und das waren jahrelange Forderungen. Es ist trotzdem wie verpufft.

Wäre das jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Konzentrationsregierung?

Es wäre der richtige Zeitpunkt für Zusammenhalt. Warum aber stimmt man da als Opposition gegen eine zusätzliche Familienbeihilfe im August? Die parlamentarische Auseinandersetzung ist zum Teil auf einem katastrophalen Niveau. Die Leute schreiben uns, dass sie sich das wegen dem Geschrei und Gekeife nicht mehr anschauen. Das Parlament funktioniert anders als vor 2017, es hat sich mit der türkis-blauen Regierung selbst beschädigt, die mit vielen Usancen gebrochen hat.

Wie äußert sich das?

Es gibt ein enormes Misstrauen. Wenn wir mit einer Vorlage einfach noch nicht fertig sind, wird uns sofort unterstellt, wir wollen sie der Opposition vorenthalten.

Der Opposition jetzt zu sagen, dass sie, frei nach Robert Palfrader, ein bisschen brav sein soll, wird aber nicht reichen. Muss man ihr vielleicht drei, vier, fünf Minister:innenämter geben?

Würde das die Krise jetzt lösen? Oder nur Posten neu besetzen?

Leonore Gewessler sagt eins zu eins dasselbe wie er, aber bei ihm ist es Gold und bei ihr nichts. Das finde ich absurd.

Geht’s in der österreichischen Realverfassung nicht immer zuerst um die Position und dann schaut man einmal, was man daraus macht?

Ich bezweifle, dass das in dieser Krise hilft.

Ist ein nationaler Schulterschluss möglich, wenn gleichzeitig alle gerade davon ausgehen, dass sowieso in den nächsten sechs Monaten gewählt wird?

Wenn man sich etwa die Debatte zum Neuwahlantrag anschaut, sieht man natürlich, dass das immer mitschwingt. Die SPÖ hat faktenwidrig vorgetragen, dass diese Regierung nichts geleistet habe. Eigene praktikable Vorschläge bringt sie aber keine.

Verstehen Sie, warum die Leute glauben, dass wir in den nächsten sechs Monaten wählen gehen?

Das Verhalten der Sozialdemokratie zielt jedenfalls darauf ab, dass die Menschen das glauben.

Die Sozialdemokratie mit ihren 40 Abgeordneten ist aber nicht jene Kraft in dem Land, die Neuwahlen ausrufen kann.

Nein, aber dass sie sich das wünscht, ist offensichtlich.

Dass das Vertrauen in die Politik beschädigt ist, ist aber auch den Oppositionsparteien klar. Kommen von dieser Seite Ideen, wie sich das wieder auf-bauen lässt?

Das lässt sich einfach nicht mit einem Slogan oder einer Kampagne gutmachen, es ist ein längerfristiger Prozess und der ist auch nicht entkoppelt, der Vertrauensverlust, die Abkehr von der Politik ist in anderen Ländern schon deutlich weiter fortgeschritten. Alle Parteien müssen lernen, zuzuhören, und auch Platz für die Wut und den Ärger der Leute schaffen, ohne gleich zu erklären, warum das so ist oder wer daran Schuld hat.

Der Vorwurf an euch Grüne ist, dass ihr die aktuelle Situation verharmlost. Dass ihr – anders als etwa Robert Habeck – nicht ansprecht, was diese Krise bedeuten kann, sondern sehr oft etwas nur beobachten wollt.

Leonore Gewessler sagt eins zu eins dasselbe wie er, aber bei ihm ist es Gold und bei ihr nichts. Das finde ich absurd.

Leonore Gewessler sagt dasselbe?

Robert Habeck, aber auch Annalena Baerbock und Cem Özdemir machen das in Deutschland sehr gut. In der Umsetzung sind wir in vielen Punkten aber viel weiter als Deutschland, etwa, was das Erneuerbare-Wärme-Gesetz betrifft, da fängt in Deutschland die Diskussion erst an. Das Habecksche „Wir werden alle ärmer werden“ und ähnliche Dinge sind aber Aussagen, die auch Werner Kogler schon gebracht hat. Ich kann diese Kommentierung nicht nachvollziehen.

Diesen Figl-Moment, den Habeck zwei Mal die Woche auf Instagram zusammenbringt, den gab es in Österreich doch noch nicht.

Das ist vielleicht auch einfach eine Typen-Frage. Habeck macht das eben auf Instagram.

Und die Welt liegt ihm zu Füßen, weil er die Angst, die viele haben, auch artikuliert. Es bleibt übrig, dass er in unserer Sprache spricht. Das hat Werner Kogler zumindest nicht so geschafft, dass wir es mitbekommen hätten.

Es gibt offenbar viele Interviews, die ihr alle nicht lest, aber im Ernst, bei uns läuft alles viel aufgeregter ab und gleichzeitig aber auch viel weniger gut informiert. Wenn ich mir die Runde der Chefredakteure anschaue und da klar wird, dass Chefredakteure offenbar nicht wissen, wie der Strommarkt funktioniert, und die Presse-aussendungen des Klimaschutzministeriums offenbar nicht kennen, weil sie behaupten, dass es überhaupt keine Pläne für irgendetwas gäbe, dann trägt das nicht dazu bei, dass es sachlicher wird. Da ergibt sich auch der Eindruck, dass man sich manchmal von dem, was man sich eingeredet hat, nicht durch Fakten abbringen lassen will.

Wir wählen Parteien, nicht Personen, auch wenn Sebasti-an Kurz das anders aufgezogen hat. Es ist gefährlich, dass so infrage zu stellen, weil das ist unser Fundament.

Gleichzeitig merkt man, wie eine gewisse Müdigkeit mit der Situation in der Ukraine eintritt. Die Solidarität wird noch mehr abnehmen, je länger der Krieg dauert und je teurer das Gas wird. Wie plant man als Politiker:in dafür vor?

Es ist die Aufgabe von Politik, auf diesem Thema draufzubleiben, weil es natürlich die Gefahr gibt, dass die Stimmung kippt. Aber weder beim Kanzler noch bei irgendjemandem sonst in der Regierung hätte ich den Eindruck, da auch nur ansatzweise nachgeben zu wollen. Das wäre auch keine nachhaltige Strategie. 

Populisten werden sich hinstellen und sagen, dass der Krieg schuld an den Einkommensverlusten ist, an der Inflation, an einfach allem, und sie werden einfache Lösungen anbieten. 

Es liegt vollkommen außerhalb meines Vorstellungsraums, hier einzuknicken. Wir sind aus gutem Grund eine Demokratie, Teil der Europäischen Union, halten die Menschenrechtscharta hoch und es steht für uns außer Frage, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig ist.

Wie viel davon müssen Menschen verstehen, um solidarisch zu bleiben, auch wenn sie gleichzeitig die elementare Sorge haben, ob sie sich Lebensmittel, Strom und Heizen leisten können?

Genau deswegen handeln wir, schließen zum Beispiel Entlastungspakete ab und versuchen, die Menschen zu unterstützen, wo es geht. Wir sind auch noch nicht fertig. Ich kann aber nicht dauernd die Strategie und meine Haltung wechseln. Das geht einfach nicht.

Wir wollen diese Krise mit einem Kanzler bewältigen, der bei der letzten Wahl der Wahlkampfmanager war. Hat er genug Legitimation?

Wir wählen Parteien, nicht Personen, auch wenn Sebasti-an Kurz das anders aufgezogen hat. Es ist gefährlich, dass so infrage zu stellen, weil das ist unser Fundament. Man kann ihn kritisieren, aber nicht, ob es legitim ist, dass er jetzt Kanzler ist.

Trotzdem kann man sich fragen, ob ein Kanzler, der als Spitzenkandidat das Vertrauen seiner Wähler:innen bekommen hat, in einer solchen Situation nicht mehr Vertrauen bekäme und sich so auch leichter täte, schwierige Entscheidungen zu treffen. 

Meine politischen Ansichten decken sich mit jenen von Karl Nehammer über weite Strecken nicht. Aber ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass er mit großer Ernsthaftigkeit dahinter ist, die Situation insbesondere mit der Ukraine und der Teuerung in den Griff zu bekommen. Sebastian Kurz war die Republik egal, es waren ihm auch die Menschen egal. Das gilt für Karl Nehammer überhaupt nicht.


Erschienen im Sommer 2022. Fleisch 64 – Sigi Maurer – ist bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! 

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