Das seltsame Paar:
Der Mensch und sein Dienstauto
Vor fünf Jahren hätte unsere These gelautet: Wer kein Dienstauto hat, ist ein Loser. Heute sind wir uns da nicht mehr so sicher. Zu Recht?
In weiten Teilen der Business-Welt ist das Dienstauto nach wie vor nicht wegzudenken. Es ist ein Statussymbol, es gehört dazu. Komisch angeschaut wird eher der, der kein Dienstauto möchte, und wenn Lohnverrechner wen hassen, dann den, der statt des Autos eine Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel möchte. Weil wie verbucht man das? Zwei von drei Menschen, die mehr als 120.000 Euro im Jahr verdienen, bekommen von ihrer Firma ein Dienstauto gestellt.
Warum ist es weiterhin so ein Statussymbol?
Es sagt für viele auch etwas über den Stellenwert und die Hackordnung im Unternehmen aus. Eine Gehaltserhöhung oder einen Bonus bekommt niemand in der Firma mit, wenn man mit einem neuen Auto auf den Firmenhof fährt, dann sieht das aber jeder. Der Firmenparkplatz ist ein bisschen so, als hätte der Tennisklub die genauen Ergebnisse der Vereinsmeisterschaft von außen auf die Hausmauer projiziert und das Auto des Vereinsmeisters muss täglich von einem Unterlegenen per Hand gereinigt werden. In der Mittagspause. Vor der Kantine. Wenn man mit dem A6 vorfährt, obwohl alle anderen einen A4 haben, dann sieht es jeder. Aber es merkt eben auch jeder, wenn man plötzlich statt des A4 nur noch einen A3 hat. Das sind übrigens die Momente, in denen in gar nicht so wenigen Firmen Leute auf Gehalt verzichten oder einen Teil des teureren Autos selbst bezahlen.
Tapfer!
Es geht auch um die Außendarstellung: Ein großer Technologiekonzern hatte mal die nur mittelgute Idee, die Fahrzeugflotte zu wechseln, von Audis auf Skoda Octavia. Daraufhin wollten alle Außendienstmitarbeiter der Firma kündigen und nahmen ihre Drohung erst zurück, als statt der Octavias Audis bestellt wurden.
Sie müssen sich mit Autos auskennen?
Bei jedem Recruiting kommt unweigerlich der Punkt, an dem ich zum Autohändler werde, zum Autohändler für den gehobenen Sektor. Die Menschen, mit denen ich es dann zu tun habe, haben alle offenbar seit 1992 jede „Auto Bild“ auswendig gelernt, sie kennen jedes
Modell, jede Sonderausstattung und jede Möglichkeit der Veredelung. Selbst wenn man über Positionen und Gehälter im absoluten Top-Segment spricht: Irgendwann kommt der Punkt, an dem es um das Auto geht, und dann wird es mitunter irrational.
"Selbst Menschen, die gute sechsstellige Jahresgehälter bekommen, beginnen beim Thema Dienstauto zu kämpfen, als ginge es um die Zukunft ihrer Kinder."
Klingt vielversprechend.
Offenbar triggert das Dienstauto bei Menschen etwas, denn wenn es ums Auto geht, dann verhandeln sie ganz anders, selbst Menschen, die gute sechsstellige Jahresgehälter bekommen, beginnen dann zu kämpfen, als ginge es um die Zukunft ihrer Kinder. Das beginnt bei der Marke, dann geht es um das Modell (je größer, desto besser) und spitzt sich dann vor allem bei den Sonderausstattungen zu. Bei der Lackierung. Bei der Bereifung. Und dann vor allem auch bei den Felgen.
Spitzenmanager sind also Felgenexperten?
Nicht nur das. Es kommt oft vor, dass jemand anbietet, in die eigene Tasche zu greifen, wenn die Extras nicht mehr drin sind. Das ist aber nur die erste Runde, die, in der es ausschließlich um die Äußerlichkeiten geht. Oft kommt dann eine zweite Runde, und da fordern potenzielle Mitarbeiter einen Skisack oder Sitzbezüge oder ein Videopaket für die Rücksitze, und dann weißt du: Ah, da hat jetzt die Ehefrau ein paar Wünsche, die das Auto praktischer machen sollen.
Ist das Dienstauto überall gleich wichtig?
Mit ein paar Feinheiten. In Rumänien verhandelt man in Litern, also um den Hubraum. In Deutschland wiederum hatte ein großer amerikanischer Konzern vor kurzem eine relativ hohe Position ausgeschrieben, und alles war okay. Die Position, die Entlohnung, die Sonderleistungen. Trotzdem gab es keine vernünftigen Bewerbungen. Warum? Als Dienstwagen war ein französisches Modell ausgelobt. Als das geändert wurde, ging es auf einmal.
Erschienen im Winter 2019. Fleisch 54, bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!